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H. R. Gérard: Bittersüße Züchtigungen

Eine Stecknadel im Heuhaufen der Spanking-Literatur: sensibel und respektvoll.

✦✦✦✦✦ Seitdem mit der Verbreitung von E-Readern Nischenautoren ihre Texte einfacher veröffentlichen können, gibt es auch relativ viel Digitalliteratur zum Thema Spanking. Darunter auch »Bittersüße Züchtigungen« von H. R. Gérard, laut Klappentext eine Spanking-Geschichte in der Kulisse eines Mädcheninternats. Wie das wohl aussehen mag?! Eine kleine Prognose vorab:

  1. Sie hatte im Affekt ihre Lehrerin beschimpft. Sie wusste, dass dies eine harte Bestrafung durch den Direktor zur Folge hatte.
  2. Sie heulte laut, während die Peitsche immer wieder mit lautem Klatschen auf ihren zarten Po niedersauste und diesen zum Glühen brachte.
  3. Plötzlich sah sie die Erregung im Blick des Direktors und fühlte, wie sich ihr Schmerz mit Lust mischte. Sie rief »Fick mich!« und bla bla bla.

Eine Erzählung auf etwa diesem Niveau erwartete ich, als ich mit der Lektüre begann – denn in aller Regel beschränken sich sowohl Handlungstiefe als auch Ausdrucksqualität derartiger Werke ja eher auf ein Minimum. Und angesichts des billigen Covers und des beliebigen Titels ging ich davon aus, eine weitere flache Story zu lesen, in der der böse Direktor dem frechen Schulmädchen ordentlich den Hintern versohlt.

Doch dieser Text bleibt nicht in den engen Grenzen dieses oberflächlichen Klischees. Zwar sind alle drei oben genannten Punkte natürlich Teil der Handlung – doch gleichzeitig passiert etwas für dieses Genre Erstaunliches: Der Autor füllt die handelnden (also prügelnden und geprügelten) Personen mit Leben. Und so werden aus dem Objekt des bösen, strafenden Direktors und dem Objekt der frechen, gedemütigten Schülerin tatsächlich Menschen mit differenzierten Gedanken und plausiblen Gefühlen.

Durch die Beleuchtung beider Perspektiven sowie durch die Einbeziehung von Randpersonen und Exkursen entfalten die Schülerin und der Direktor gleichermaßen emotionale Tiefe und Schärfe:

In der Ausgangssituation möchte die Protagonistin nicht bestraft werden und wehrt sich dagegen, während der Strafe spürt sie aber, dass sie die Schläge und die Situation erregen. Soweit das Handlungsmuster – bemerkenswert aber sind die Worte, mit denen der Autor beschreibt, warum sie so fühlt:

»Die Fesseln an ihren Händen hatten etwas Tröstliches. Sie würde nicht mehr versuchen müssen, sich zu beherrschen, sie war nun ganz und gar wehrlos. Es gab nichts mehr zu denken, nichts mehr zu entscheiden.«

»Sie sah seine Augen, die wachsam waren, die Klarheit ausstrahlten, und als sich ihre Blicke trafen, da sah sie es genau … Er würde sie nicht verletzen! Er tat ihr weh, doch er achtete auf sie. Er führte sie an ihre Grenzen, doch nicht darüber hinweg.«

»Sie konnte ihm vertrauen, […] so verletzlich ausgebreitet liegend auf ihrem Bett war sie sicher. Er achtete ihr Wesen. Sie war kein Etwas, […] sie war eine junge hübsche Frau, und er respektierte sie, ihre Gefühle, ihre Weiblichkeit, ihre Verletzlichkeit.«

Die in diesen Zitaten anklingende Rolle des Direktors wird im zweiten Teil des Romans noch deutlicher. So wird auch er behutsam gezeichnet und ist eben nicht der flache Schläger mit dem Motto: »Yay, heute darf ich wieder einer Schülerin den Hintern verdreschen, was für ein geiler Job!« Stattdessen wird ein Dilemma geschildert, welches darin besteht, …

»[…] dass die Züchtigung eines wohlgeformten weiblichen Gesäßes zu seinen sexuellen Neigungen zählte«.

»Aber die wöchentlichen Bestrafungen hatten nichts Sexuelles, wie er schnell festgestellt hatte. Das machte es ihm leichter, da er nicht gegen das Gefühl anzukämpfen hatte, die jungen Frauen zum Spielball seiner Gelüste zu degradieren.«

Und für Sätze wie diesen schätze ich diesen Roman. Denn auf diese Weise stellt er nicht nur eine sprachlich souverän erzählte Bestrafung dar, sondern greift insbesondere auch jene Fragen zu Würde, Verantwortung und Macht auf, die ein derartiges Szenario aufwirft. So verzeihe ich dem Text auch, dass die Glaubwürdigkeit in Details an einzelnen Stellen etwas holpert.

Viel zu sehr freue ich mich, eine Stecknadel im Heuhaufen der E-Spanking-Literatur gefunden zu haben. Denn H. R. Gérard beweist mit diesem Text sowohl schriftstellerisches Talent als auch Sensibilität, was das komplizierte Thema spielerischer Bestrafung betrifft. Somit ist das Buch nicht nur als sensibel ausgeschmückte, anregende Lektüre, sondern auch als differenzierter, authentischer Einblick unter die Oberfläche empfehlenswert.